informatisierung der arbeit

 

Source: Michael Hardt, Affektive Arbeit, in Norm der Abweichung, Hg. Marion von
Osten, Zürich 2003

 

Um die geschichtliche Abfolge der ökonomischen Paradigmen in den führenden kapitalistischen Ländern seit dem Mittelalter in den Blick zu nehmen, ist es heute üblich geworden, drei verschiedene Momente anzugeben, in denen jeweils ein bestimmter ökonomischer Sektor privilegiert ist. Das erste Paradigma war dadurch gekennzeichnet, dass die Ökonomie von der Landwirtschaft und der Gewinnung von Rohstoffen bestimmt wurde. Unter dem zweiten Paradigma nahmen die Industrie und die Herstellung weitgehend haltbarer Güter die herausragende Stellung ein. Mit dem dritten Paradigma schliesslich sind heute die Bereitstellung von Dienstleistungen und der Umgang mit Information ins Zentrum der ökonomischen Produktion gerückt. Die Führungsrollen hat also historisch den Weg vom primären über den sekundären zum tertiären Sektor der Produktion genommen. Ökonomische >Modernisierung< bezeichnete den Übergang von ersten zum zweiten Paradigma, von der Vorherrschaft der Landwirtschaft zu derjenigen der Industrie. Modernisierung bedeutet folglich Industrialisierung. Den Übergang vom zweiten zum dritten Paradigma, von der Herrschaft der Industrie zur beherrschenden Stellung von Dienstleistung und Information könnte man analog einen Prozess der ökonomischen >Postmodernisierung< oder besser noch der >Informatisierung< nennen.
Die Modernisierungs- und Industrialisierungsprozesse haben alle Teile des Gesellschaftlichen transformiert und einer Neudefinition unterworfen. Als die Landwirtschaft im Sinne der Industrie modernisiert wurde, verwandelten sich nach und nach die Farm, der bäuerliche Hof oder das Landgut in Fabriken, inklusive aller Aspekte industrieller Produktion wie Fabrikdisziplin, technologischem Apparat und Lohnverhältnis. Allgemeiner gesprochen, wurde die Gesellschaft selbst stufenweise industrialisiert, bis hin zur Veränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen und sogar zur Umwandlung der menschlichen Natur. Die Gesellschaft wurde zur Fabrik.


Informatisierung


In der Gegenwart allerdings ist der Modernisierungsprozess an ein Ende gekommen, oder wie Robert Kurz sagt, wir sind heute mit dem >Kollaps der Modernisierung< konfrontiert. Mit anderen Worten, die industrielle Produktion kann ihre Dominanz nicht mehr auf andere ökonomische Formen und gesellschaftliche Phänomene ausweiten. Ein Symptom dieser Verschiebung manifestiert sich in den Bedingungen quantitativen Wechsels innerhalb der Beschäftigungsverhältnisse. Während der Modernisierungsprozess an der Abwanderung der Arbeitskräfte aus Landwirtschaft und Bergbau, aus dem primären Sektor, erkennbar wurde, ist im Prozess der Postmodernisierung oder Informatisierung eine Abwanderung aus der Industrie in Dienstleistungsjobs, in den tertiären Sektor der Ökonomie, festzustellen. Ein Wandel der Beschäftigung also, der sich in den führenden kapitalistischen Ländern bereits vollzogen hat und insbesondere in den USA schon seit Beginn der siebziger Jahre zu beobachten war.
Der Begriff >Dienstleistung< steht hier für eine Fülle von Tätigkeiten, von Gesundheitsfürsorge und Erziehung über Finanz- und Transportwesen bis hin zur Unterhaltungs- und Werbebranche. Die meisten dieser Jobs setzen hohe Mobilität und Flexibilität voraus. Wichtiger jedoch ist, dass sie allgemein durch die zentrale Bedeutung charakterisiert sind, welche Wissen, Information, Kommunikation und Affekt für sie haben. In diesem Sinne kann man die postindustrielle Ökonomie als eine informationelle Ökonomie bezeichnen. Zu behaupten, der Prozess der Modernisierung sei beendet und die globale Ökonomie unterliege heute einem Prozess der Postmodernisierung hin zu einer informationellen Ökonomie, bedeutet keineswegs, von einer Abschaffung der industriellen Produktion auszugehen oder zu unterstellen, sie spiele, zumal in den ökonomisch dominierenden Regionen der Erde, keine wichtige Rolle mehr. Wie schon die industrielle Revolution die Landwirtschaft nicht abgeschafft, sondern umgewandelt und ihre Produktivität gesteigert hat, so wird auch die informationelle Revolution die Industrie transformieren, indem sie den industriellen Fertigungsprozess neu bestimmt und erneuert, wie dies beispielsweise durch die Integration informationeller Netzwerke in die industrielle Produktion bereits geschieht. Die neue Handlungsanweisung für Manager lautet denn auch: >Die Fertigung wie eine Dienstleistung behandeln!< Tatsächlich haben sich mit dem Strukturwandel der Industrie die Grenzen zwischen Fertigung und Dienstleistung mehr und mehr verwischt. Wie im Zuge der Modernisierung die gesamte Produktion industrialisiert wurde, so tendiert im Zuge der Postmodernisierung heute der gesamte Produktionssektor zur Herstellung von Dienstleistungen — und dazu, Information zu werden.
Dass die Informatisierung und die Verschiebung hin zu Dienstleistungen die auffälligsten Veränderungen in den führenden kapitalistischen Ländern darstellen, sollte allerdings nicht dazu verleiten, die gegenwärtige Lage der Weltwirtschaft erneut in Begriffe von Entwicklung und Unterentwicklung zu fassen, wobei in einer Art Stadienmodell die dominanten kapitalistischen Länder als informationelle Dienstleistungsökonomien, die beherrschten Länder der ersten Reihe als industrielle Wirtschaftssysteme und die auf den weiteren und untergeordneten Rängen als landwirtschaftliche Ökonomien erscheinen würden.

Immaterielle Arbeit


Der Übergang zu einer Informationsökonomie erfordert (…) einen Wandel in der Qualität der Arbeit und in der Art der Arbeitsprozesse. Dies sind die unmittelbar wirksamen soziologischen und anthropologischen Implikationen beim Übergang vom einen zum anderen ökonomischen Paradigma. Information, Kommunikation, Wissen und Affekt spielen in dieser Hinsicht im Produktionsprozess eine fundamentale Rolle.
Der erste Aspekt dieses Wandels betrifft, wie viele Untersuchungen bereits festgestellt haben, die Veränderung der Fabrikarbeit; wählt man die Automobilindustrie als zentralen Bezugspunkt, dann handelt es sich um den Übergang vom fordistischen zum toyotistischen Modell. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Modellen liegt darin, dass sich das System der Kommunikation zwischen Produktion und Konsumtion der Waren, das heisst der Übergang der Information von der Fabrik zum Markt und umgekehrt, strukturell wandelt.
Da die Produktion von Dienstleistungen auf nicht materielle und nicht haltbare Güter zielt, kann die Arbeit, die in diesem Produktionsprozess verrichtet wird, als immaterielle Arbeit bezeichnet werden, das heisst als eine Arbeit, die immaterielle Güter wie Dienstleistungen, Wissen oder Kommunikation produziert.
„The basic economic resource – >the means of production<, to use the economist’s term – is no longer capital, nor natural resources (the economist’s >land<), nor >labor<. It is and will be knowledge.“
Was Drucker nicht versteht, ist, dass Wissen nicht gegeben ist, sondern produziert wird, und dass seine Produktion neue Arten von Produktionsmitteln und auch von Arbeit erfordert.

Die immaterielle Arbeit ist nicht auf einen bestimmten Teil der Arbeiterschaft beschränkt, etwa auf die Gruppe der Programmierer und Krankenschwestern, die dann das neu sich formierende Potenzial für eine Arbeiteraristokratie abgäben. Sie tendieren in ihren verschiedenen Gestalten als informationelle, affektive, kommunikative und kulturelle Arbeit vielmehr dazu, sich auf das gesamte Arbeitskräftepotenzial auszudehnen und sich als eine Komponente mehr oder weniger aller Arbeitsprozesse auf jede Arbeitsanforderung zu erstrecken. Alllerdings bestehen im Bereich der immateriellen Arbeit eine Reihe von Teilreformen, zu denken ist etwa an die internationale Teilung der immateriellen Arbeit, an die geschlechtsbezogene und die rassistische. Wie Robert Reich sagt, wird die US- Regierung darum bemüht sein, die hochwertige immaterielle Arbeit auf dem eigenen Territorium zu halten, die minderwertige Arbeit mit geringen Anforderungen dagegen in andere Regionen auszulagern. Die traditionelle Trennung von Ökonomie und Kultur beginnt sich hier aufzulösen.